Ausstellung im Stadtmuseum Deggendorf im Januar 94
Ich verfolge die Arbeit von Alois Öllinger seit langem mit kritischer Sympathie, insbesonders seit seiner Ausstellung im Cordonhaus Cham, 1989 die in eher als einen bedächtigen, kultivierten Maler aus der Schule von Rudi Tröger zeigte. In den letzten Jahren allerdings war ich oft genug erstaunt über die frische Unbedenklichkeit, mit der der Künstler Formen der Aktionskunst aufnahm und hartnäckig weiterverfolgte:
Als einer der wenigen Zuschauer sah ich z.B. im letzten Jahr seine Grenzkuppelaktion am Grenzübergang Furth i. Wald. An diesem unwirtlichen von Lkw-Staus und Autoabgasen bestimmen Ort inszenierte er mit Hilfe von Feuerwehrleuten aus dem tschechischen Domaslice und aus Furth ein einfaches Versöhnungs- und Hoffnungszeichen: Die Feuerwehrleute stellten sich diesseits und jenseits des Grenzbaches im Kreis auf und spritzten in hohem Bogen eine Kuppel aus Wasser, das sie dem Grenzbach entnahmen. Die Nachmittagssonne vollendete das Werk. Sie wölbte, der Konzeption des Künstlers folgend einen Regenbogen über die Grenze. So etwas läßt sich nicht ausstellen – ein braungrundiges Bild im Foyer des Museums gibt Ihnen einen kleinen Hinweis – und doch ist es wichtig, als eine Möglichkeit, ohne Berührungsangst mit den Mitteln der Kunst auf die Lebenswirklichkeit zu reagieren. Dem Ende des Eisernen Vorhangs und der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wurde von Alois Öllinger ein vergängliches Denkmal gesetzt, das auch sakrale Konnotationen aufweist (Ende der Sintflut?) wie auch andere Arbeiten des Künstlers: Auf der gegenüberliegenden Wand des Foyers hängt ein graues Bild, das um eine schwarze Schalenform collagiert ist. Diese Schalenform erinnert an die Mandorla, die auf mittelalterlichen Darstellungen die Figur Christi verklärend umspannt. Sie können diese von Öllinger fast obsessiv benutzte Form auch auf anderen Bildern der Ausstellung sehen. Sie tauchte als Holzscheffel in frühen Stillleben des Künstlers auf, mutierte zum Kinderschiffchen und gewann symbolische Dimension als Schild, Schein, Kahn und Vagina. Später wurde sie aus Kunststoff plastisch realisiert. Eine dieser Schalen können Sie im zweiten Stock des Museums inmitten von Andachtsbildern, Devotionalien und religiöser Volkskunst sehen. Sie hat schon Wallfahrten hinter sich. Öllinger hat diese Schale im Regensburger Dom abgelegt und sie sogar bis nach Chartres mit genommen, einem nicht nur für ihn besonders wichtigen Kultort. Der Zusammenhang zu niederbayerischer Volksfrömmigkeit ist unübersehbar das Kreuz, das nach Altötting getragen, die Kerze, die zum Bogenberg geschleppt wird. Vielleicht können Sie überhaupt die schönen Sammlungsstücke des Deggendorfer Stadtmuseums durch die Plazierung von irritierenden Kunstwerken mit neuen Augen sehen: z.B. den schalenförmigen Kahn der Deggendorfer Donaufischer.
Oder auch die Gebrauchsspuren auf den grauen mittelalterlichen Krügen und Geräten im 1. Stock mit den Teerstücken in Verbindung bringen, die Ollinger diagonal in diesem Raum auf den Boden gelegt hat. Dabei handelt es sicher um Spurensicherung im wörtlichen Sinne: Hunderte von Pferden hinterlassen beim Kötztinger Pfingstritt ihre Laufspuren auf dem Asphalt. Der Künstler hat einige Teerstücke herausgetrennt und wie Reliquien präsentiert. Als Beispiel dafür, wie man heimatliches Brauchtum in den Bannkreis der Kunst überführen kann und es nicht nur den Tourismusmanagern und Trachtenvereinen überlassen sollte.
Sogar vor der Wechselausstellung mit Adventskalendern schreckt Öllinger nicht zurück. Einen seiner Raumkästen hat er unter Christkindeln und Weihnachtsengeln im Dachboden versteckt. Fünf weitere sind im zweiten Raum des Erdgeschosses platziert. Diese Raumkästen sind wie Bühnemodelle gebaut, mit flächig, gestreift oder schachbrettartig gemusterten Böden und Wänden. Kleine aus Karton geschnittene und bemalte Figuren, Gegenstände und Tiere können in ihnen platziert werden. Diese Statisten scheinen direkt den Bildern des Künstlers entnommen und in die Puppenstuben verpflanzt zu sein. Die Leitern, Schalen. Bäume, Katzen etc. wechselten aus imaginären Räumen in reale, jedoch nicht weniger künstliche. Die Nähe zur Vorstellungswelt der Kinder ist evident. Auch in ihrem Spiel werden die Realitätsebenen fließend und durchlässig. Werden diese Objekte an der Wand präsentiert, So verwandeln sie sich vor allem in der aufsichtigen Wahrnehmung in Bilder Zurück.
Der Ausgangspunkt dieses bislang skizzierten erweiterten Kunstbegriffs, den Öllinger in den letzten Jahren forcierte stellen allerdings seine Bilder dar. Räume wie in Kinderträumen. Sie sind durchaus tiefenräumlich vorgestellt, aber ohne die Mittel der illusionistischen Perspektive. Sie stehen der mittelalterlichen Raumauffassung näher als der der Renaissance. Manchmal sind sie ganz leer, dann wirken sie wie geometrisch gegliederte Spielfelder. Das Stück beginnt: Die Lebenszeichen treten auf, sparsam, einzeln. Die Leere wird zum Ereignisort. Ein rätselhafter, metaphysischer Ort, bevölkert von einer Glühbirne, einem Stein, einer Leiter.
Das Spiel ist aus: Liegengebliebene Gegenstände berichten von vergangenem Geschehen. Die Dinge sind wie Hieroglyphen in den Raum gestreut. Das Bild ein verlassenes (Kinder)zimmer. Das Leben hat sich Zurückgezogen in die Farben: Ermatte nicht zugestrichene Flächen, pulsierend, atmend. Oft in großen Flächen zusammengefasst. Rot, gelb, grau, braun, schwarz, eine irdische schwere Palette. Die bäuerliche Herkunft des Künstlers spricht mit.
Zuletzt die Zeichnungen.
Der Strich des Künstlers ist kraftvoll und doch suchend. die krause Linie umkreist das Motiv, stößt an den Gegenstand wie an einen Stolperstein, ertastet seine Konturen. Annäherung, nichts endgültiges. Auch Reuezüge bleiben stehen als authentische Spuren eines Geschehens. Das Gekritzel verdichtet sich, stellenweise tritt das Motiv hervor. Es verfängt sich im ausgeworfenen Netz aus nervigen Strichen. Allzu eindeutiges, wiedererkennbares wird vermieden, das Ungefähre auch.
Toni Scheubeck