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Max-Reger-Halle / Souterrain, Weiden

Alois Öllinger bezieht sich in seinen Arbeiten “Pfingstritt” und “Grenzöffnung” auf zwei Ereignisse an seinem Wohnsitz Kötzting und im nahe gelegenen Furth im Wald, die in ihrer politischen bzw. kulturellen Natur für den näheren ostbayerischen Raum herausragende Bedeutung haben. Unter künstlerischem Gesichtspunkt handelt es sich dabei um Echtzeitinszenierungen in der Tradition des Happenings, mit denen der Tröger-Schüler, der 1953 als Sohn eines Landwirts in Bemberg / Rottal-Inn zur Welt kam und an der Akademie der bildenden Künste in München studierte, den Unterschied von bedeutsamem Augenblick, der sich ja mitunter zur menschheitlichen Sternstunde weiten mag, und mathematisch-funktionalem Zeitpunkt gestaltet. Zum einen präsentiert Öllinger die quadratischen Stücke einer sechs Meter langen Asphaltdecke, in der Pferde ihre Hufspuren hinterlassen haben; sie stammen vom Kötztinger Pfingstritt 1990, einem folkloristischen Fest, das im regionalen Kalender fest verankert der bäuerlichen Überlieferung ein Denkmal setzt. Öllinger wusste seinerseits von einem Kunstbegriff, der die Zeichenblockkante überragt, zu überzeugen und bekam zur Dingfestmachung des Traditionsrittes von der Stadt ein Stück Umweg geteert, den er hinterher aussägen und ins Atelier mitnehmen konnte. Spuren im vergänglichen Schnee! Spuren im widerstandsfähigeren Teer, der dank Streusalz auch den härtesten Winter in verkehrstechnischer Hinsicht zur Sommerewigkeit macht. Dem vielseitigen Künstler gelingt es, im Fundstück des Hufabdruckes mechanische und organische Zeitmodi und Mobilitätsformen, die in unserer Zivilisation hart miteinander konkurrieren, zu einem unwiderleglichen Zeichen zu verbinden. Eine Ära, in der es weder befestigte Straßen gab noch die berechtigte Hoffnung, “davonzukommen”, und dem Raubbau an der Natur technische Grenzen gesetzt waren, hinterläßt hier, alldieweil die “gute alte Zeit” realiter längst nicht mehr existiert, eine Art Blindenschrift. Die wenigsten der Zuschauer am Straßenrand können sie lesen. Der schwere Kaltblütler, der gerade noch zum Holzrücken in unzugänglichen Waldgebieten verwendet wird, hat, gleichwohl wir die mythischen Räume unseres Geistes immer noch in Kentaurengestalt durcheilen, als Verkehrsmittel ausgedient. Ihr Abdruck aber beinhaltet eine Gegenwärtigkeit, die ähnlich wie die Einkerbungen vom Bocksfuß des Teufels auf Türschwellen, eine Warnung ausspricht, die den Betrachter über den trivialen Tatbestand hinaus, dass der Teer noch nicht fest war, mit schwerwiegenden kulturellen Symptomen konfrontiert.

1. Juli 1992. Ein besonderer Zeitpunkt für die ostbayerisch-böhmische Region, deren jahrhundertealter grenzverwischender Austausch seit 1989 nicht mehr durch den Eisernen Vorhang unterbrochen wird, war die Wiedereröffnung der Zollstation Furth i. Wald / Schafberg. Öllingers Idee, dieses herausragende Datum in die Augenblicksform einer künstlerischen Aktion zu übertragen und seiner alle singulären Interessenslagen überschreitenden Essenz sichtbare Dauer zu verleihen, stieß verschiedenenorts auf kräftige Resonanz und ließ die tschechische und deutsche Feuerwehr an den Grenzbach marschieren, wo sie, um das Friedenszeichen, das wir hier sehen können, zu bilden, ihre Schläuche wie die Dachbalken eines Freundschaftshauses gegeneinander richteten. Wasser marsch! Aber anstatt, dass Feuer gelöscht wurde, brach aus simultaner Wasserwand der Regenbogen hervor und spannte sich über einer imaginären Linie zwischen den Ländern zum Triumphbogen später Einsicht. Die Dokumentation zeigt erhabene Bilder. Als Urheber zeichnet kein einzelner Genius. Wenn der Museumsbesucher am “Regenbogen über heroischer Landschaft mit Hirten” die herausragende Meisterschaft Josef Anton Kochs bewundert, die sich im klassizistischen Kanon erfüllt, so sieht er, wie sich unter Alois Öllingers Leitung in Furth ein Zustand ähnlicher Inspiriertheit bildet, allerdings signiert das Kollektiv. Der temporäre geistige Ort, den dieses soziale Aggregat im Focus unterschiedlicher Motive abgrenzt, heißt – unter Berücksichtigung der Lesarten aller Beteiligter – ganz bestimmt nicht K.U.N.S.T. Es war eine geglückte “Grenz-Veranstaltung”, die ohne jede Nomenklatur für sich selber spricht. Ihre Beendigung hinterläßt ein Vakuum; die Frage, wo und in welcher Form sich das Ur-Ereignis wieder-holen soll, ist an Akteure gerichtet, die mehr sind als gestrenge Verwaltungsbeamte, sei es im Rathaus, sei es im “ästhetischen Staat” (Schiller). Auch in seinem dritten Beitrag, den Öllinger “regio plus” beisteuert, geht es um das Thema des Grenzraumes; der Betrachter blickt auf kleine in Öl bemalte Kartonbühnen, stille Winkel, die ungefähr in Augenhöhe hängen; Leiter, Stuhl und Schale, die symbolischen Konstanten des Öllingerschen Oeuvres, treten in der Form ausgeschnittener Planzeichnungen auf. Der Mensch ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber die Dinge führen ein Eigenleben. Ortlos kragen diese Interieurs, Drei-D-Knospen, die gerade aufgebrochen sind, in die Leere. An manchen dieser Raumstationen kristallisiert sich das architektonische Moment der Konsole aus und bildet, währenmd sich in den Wänden und Ecken quer zu den Funktionsroutinen unserer Lebenswelt die ursprünglichen Baukräfte wie frühlingshafte Säfte zum Aufstieg sammeln, die Auflager für Gewölbebögen geistiger Gehäuse.

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